Teheran (IRNA) – Der als Wendepunkt gedachte Sonderfonds von 100 Milliarden Euro hat sich als weitgehend ineffektiv erwiesen: Lediglich rund 24 Milliarden wurden bisher ausgegeben – und davon wenig in den Bereichen, in denen der Bedarf am dringendsten ist. Deutschlands militärische Stagnation ist damit ein Abbild der grundlegenden Schwächen westlicher Politik- und Verteidigungsstrategien, die oft mehr Wert auf Rhetorik und Symbolik legen als auf konkretes Handeln.
Als Russland seine aggressive Militärkampagne gegen die Ukraine begann, war die Welt überrascht – und Deutschland wurde gezwungen, sich seinem langjährigen Investitionsrückstand im Verteidigungsbereich zu stellen. Der 100-Milliarden-Fonds sollte ein Zeichen für eine neue Prioritätensetzung in der deutschen Sicherheitspolitik sein. Doch trotz dieser symbolträchtigen Summe ist die Bilanz ernüchternd: Die Mittel haben bislang kaum zu spürbaren Verbesserungen der militärischen Fähigkeiten geführt. Beschaffungsprozesse bleiben schleppend, ineffizient und von strategischer Orientierungslosigkeit geprägt. Die Vision einer modernisierten Bundeswehr – fähig, deutsche Interessen zu verteidigen und glaubhaft zu NATO-Missionen beizutragen – bleibt unerfüllt.
Im Jahr 2023 beliefen sich Deutschlands Verteidigungsausgaben auf etwa 53 Milliarden Euro, was rund 1,5 % des Bruttoinlandsprodukts entspricht. Obwohl dies eine Steigerung im Vergleich zu den Vorjahren darstellt, liegt der Wert weiterhin unter dem NATO-Ziel von 2 %. Im Vergleich mit anderen europäischen Staaten wirkt Deutschlands Beitrag gering: Frankreich etwa wendete im Jahr 2022 rund 2,3 % seines BIP für Verteidigung auf und übertraf damit sowohl das NATO-Ziel als auch den deutschen Etat deutlich. Trotz des erklärten Willens zu einer robusteren Verteidigungspolitik bleibt Deutschland im Vergleich zu seinen Bündnispartnern zurück – was Zweifel an seiner Fähigkeit aufkommen lässt, die Verpflichtungen im Rahmen der Allianz zuverlässig zu erfüllen.
Auch wenn eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben auf bis zu 3 % des BIP diskutiert wird, bleibt das grundlegende Problem bestehen: ein Mangel an politischem Willen und strategischer Weitsicht. Die 2023 verabschiedeten verteidigungspolitischen Richtlinien führten zwar den Begriff der „Kriegstüchtigkeit“ in die Debatte ein, konnten jedoch keinen klaren Kurs für konkrete Reformen in der Bundeswehr vorgeben. Diese Unfähigkeit zur Anpassung ist Ausdruck einer umfassenderen Krise westlicher Führung – einer politischen Klasse, die die Dringlichkeit neuer Bedrohungen nicht erkennt oder ignoriert. Während in Berlin über Verteidigungsfähigkeit und sicherheitspolitische Konzepte gesprochen wird, scheint die Realität einer zunehmend instabilen Weltlage weit entfernt von den politischen Entscheidungszentren.
Zweifelsohne prägt die NATO Deutschlands Verteidigungspolitik wesentlich – doch auch der Kurs der Allianz gibt Anlass zur Sorge. Das NATO-Verteidigungsplanungsverfahren, das die militärischen Fähigkeiten der Mitgliedsstaaten bis 2025 bestimmen soll, bietet Deutschland zwar die Chance, seine Strategie auf die Erfordernisse der Allianz abzustimmen. Doch die Unsicherheiten in den transatlantischen Beziehungen und die traditionelle europäische Abhängigkeit von den USA im Bereich der Sicherheitsarchitektur stellen infrage, ob Deutschland künftig eine tragende Rolle in einer eigenständigeren europäischen Verteidigung einnehmen kann. Die starke Abhängigkeit von NATO-Strukturen und US-Führung verhindert derzeit, dass Deutschland seinen Beitrag zu einer souveränen europäischen Verteidigungsgemeinschaft leistet – einer Gemeinschaft, die angesichts der geopolitischen Entwicklungen dringend gebraucht wird.
Auch die Europäische Union, die sich wiederholt zur Stärkung ihrer militärischen Fähigkeiten bekannt hat, wird durch innere Spaltungen und das Fehlen einer gemeinsamen strategischen Linie gelähmt. Zwar fordert die EU immer wieder mehr verteidigungspolitische Eigenständigkeit, doch ihre militärischen Strukturen bleiben fragmentiert. Es existiert kein vergleichbares gemeinsames Hauptquartier wie SHAPE in der NATO, und die militärischen Ressourcen beschränken sich auf die Kapazitäten der einzelnen Mitgliedsstaaten. Diese Zersplitterung macht Europa verwundbar – gerade in einer Weltordnung, die multipolarer und weniger berechenbar wird. So ehrenwert die Ziele der EU auch sein mögen: Ohne eine tiefgreifende Reform ihrer militärischen Strukturen und ohne klaren politischen Willen bleibt ihre Umsetzung in weiter Ferne.
Die Defizite der Bundeswehr verweisen auch auf tieferliegende kulturelle und politische Ursachen, die Deutschlands Verteidigungsbereitschaft seit Jahrzehnten prägen. Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte Deutschland bewusst auf militärische Zurückhaltung – eine Haltung, geboren aus der historischen Schuld und einer kollektiven Skepsis gegenüber militärischer Stärke. Diese Zurückhaltung hat eine politische Kultur hervorgebracht, die militärischen Fragen mit Misstrauen begegnet. Auch heute, da das internationale Umfeld eine entschlossenere sicherheitspolitische Haltung verlangt, herrscht in weiten Teilen der Gesellschaft und Politik weiterhin eine Vermeidungshaltung. Die Zeit, schwierige Entscheidungen über Wehrdienst, Verteidigungsausgaben und strategische Neuausrichtung aufzuschieben, ist vorbei.
Die aktuelle Debatte über die Wiedereinführung der Wehrpflicht ist ein Paradebeispiel für die politische Trägheit in Deutschland. Die SPD plädiert für ein freiwilliges Modell, während die CDU für eine Rückkehr zur Wehrpflicht eintritt. Diese Meinungsverschiedenheiten spiegeln den grundlegenden Dissens innerhalb der deutschen Sicherheitspolitik wider: Ideologische Gräben verhindern eine kohärente und zukunftsfähige Linie. Selbst die Diskussion über die Wehrpflicht ist juristisch wie verfassungsrechtlich hochkomplex – ein weiteres Hindernis für die Stärkung der militärischen Kapazitäten. Zugleich kämpft die Bundeswehr mit anhaltenden Beschaffungsproblemen und Führungsschwächen, wie etwa die stockenden Entwicklungen bei europäischen Drohnenprojekten oder den technisch und finanziell problematischen Flugzeugprogrammen A400M und F-35 zeigen.
Das Versäumnis, die strukturellen Herausforderungen der Bundeswehr wirksam anzugehen, hat gravierende Folgen für Deutschlands Rolle in der internationalen Sicherheit. Während NATO und EU noch um eine gemeinsame Verteidigungsstrategie ringen, bleibt Deutschland mit seinen unzureichenden militärischen Fähigkeiten zunehmend verletzlich – in einer Welt, die unaufhaltsam gefährlicher wird. Die Bedrohung durch Russland ist kein theoretisches Szenario – sie ist real. Deutschlands sicherheitspolitische Ausrichtung muss diese Realität widerspiegeln. Doch in Berlin herrscht politischer Stillstand, und die Bereitschaft zu den notwendigen, unbequemen Entscheidungen fehlt.
Will Deutschland seiner Verantwortung als globale Führungsmacht gerecht werden, bedarf es eines radikalen Kurswechsels in der Verteidigungspolitik. Dazu gehören Investitionen in Zukunftstechnologien wie Kampfdrohnen und Künstliche Intelligenz, der Ausbau der Cyberfähigkeiten und eine Neuausrichtung in der Luft- und Seeverteidigung. Vor allem aber braucht es eine tiefgreifende strukturelle Reform der Bundeswehr, damit diese den Anforderungen einer sich rasant wandelnden Sicherheitslage gerecht werden kann. Deutschland muss in der europäischen Verteidigungspolitik die Führung übernehmen, seine Strategie an die veränderten Prioritäten der NATO anpassen – und zugleich eigenständig Verantwortung als sicherheitspolitischer Akteur auf globaler Ebene übernehmen.
Auch die USA müssen erkennen, dass sie nicht länger alleiniger Garant westlicher Sicherheit sein können. Die internationale Ordnung befindet sich im Wandel – Europa muss bereit sein, mehr Verantwortung für seine eigene Verteidigung zu übernehmen. Deutschland, als wirtschaftliches Schwergewicht Europas, muss hier vorangehen – nicht nur als Finanzier, sondern als militärischer Mitgestalter. Das Versagen der westlichen politischen Führung, sich diesen Herausforderungen konsequent zu stellen, wird nicht nur Deutschland, sondern die gesamte transatlantische Allianz nachhaltig schwächen. Die Zeit zum Handeln ist jetzt – bevor es zu spät ist.
Quelle:
NATO Defense Expenditure Report, 2023. NATO.
"Germany's Defense Spending and NATO's Expectations," The Economist, March 2023.
"Germany's Military: A New Era of Defense?" Der Spiegel, February 2023.
"EU Defense: Ambitions and Realities," European Union Institute for Security Studies, April 2023.
"The State of Military Procurement in Germany," Bundeswehr Report, 2023.
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